Des Hl. Aurelius Augustinus (354-430)  
Handbüchlein über Glaube Hoffnung und Liebe / Enchiridion 

Kapitel I. Kapitel II. Kapitel III. Kapitel IV. Kapitel V. Kapitel VI. Kapitel VII. Kapitel VIII. Kapitel IX. Kapitel X. Kapitel XI. Kapitel XII. Kapitel XIII. Kapitel XIV. Kapitel XV. Kapitel XVI. Kapitel XVII. Kapitel XVIII. Kapitel XIX. Kapitel XX. Kapitel XXI. Kapitel XXII. Kapitel XXIII. Kapitel XXIV. Kapitel XXV. Kapitel XXVI. Kapitel XXVII. Kapitel XXVIII. Kapitel XXIX. Kapitel XXX.  Kapitel XXXI. Kapitel XXXII. Kapitel XXXIII.

 Kapitel XI.

 36. In diesem Geheimnis nun zeigt sich die Gnade Gottes so recht in ihrer offenkundigen Größe. Denn wie hat es die Menschennatur in dem Menschen Christus verdient, in so einzigartiger Weise zur Einheit der Person des einzigen Sohnes Gottes erhoben zu werden? Was für ein guter Wille, was für ein guter, eifriger Vorsatz, welche guten Werke sind denn vorausgegangen, daß dieser Mensch es verdient hätte, eine Person mit Gott zu werden? Ist er überhaupt schon vorher Mensch gewesen und ist ihm diese einzigartige Auszeichnung zu Teil geworden, weil er in einzigartiger Weise Gott verdient hat? Keineswegs! Denn von dem ersten Augenblick an, da er Mensch ward, fing er nichts anderes zu sein an als Gottes Sohn: und zwar der einzige Sohn Gottes. Als Gottes Wort aber, das durch die Annahme des Menschen Fleisch geworden, war er fürwahr auch Gott, so daß, wie jeder Mensch eine aus einer vernünftigen Seele und einem Leibe bestehende Person ist, so auch Christus nur eine Person ist, die aber das Wort [Gottes] und den Menschen in sich vereinigte. Warum ward nun der menschlichen Natur diese so hohe und in Anbetracht dessen, daß keinerlei eigenes Verdienst vorausging, ohne Zweifel frei geschenkte Ehre zuteil? Aus keinem anderen Grund, als damit sich die große und allein entscheidende Gnade Gottes jenen, die [dies Geheimniss in gläubig frommer Gesinnung erwägen, im hellsten Licht offenbare, so daß sie erkennen, daß sie von ihren Sünden durch die ganz gleiche Gnade gerechtfertigt werden, die auch die Ursache war, daß der Mensch Christus gar keine Sünde haben konnte. Darum hat auch der Engel seine [des Gottmenschen] Mutter bei der Verkündigung ihrer Geburt mit den Worten begrüßt: „Sei gegrüßt, du Gnadenvolle“ und gleich darangefügt: „Du hast Gnade gefunden bei Gott. „Und wenn diese [Maria] voll der Gnade genannt wird und wenn es von ihr heißt, sie habe Gnade bei Gott gefunden, so besteht diese Gnade darin, daß sie Mutter des Herrn oder vielmehr des Herrn aller geworden ist. Nachdem aber der Evangelist Johannes ebenfalls von Christus gesagt hat: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt; und wir sahen“, so fährt er fort, „seine Herrlichkeit als die des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“ Und zwar zeigt er uns dort, wo er sagt: „Das Wort ist Fleisch geworden“, denjenigen, der voll der Gnaden, und dort, wo er von der „Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater“ spricht, denjenigen, der voll der Wahrheit ist. Denn die Wahrheit selbst, d.h. der eingeborene Sohn Gottes nicht aus Gnade, sondern von Natur aus, ging aus Gnade mit den Menschen eine so enge persönliche Vereinigung ein, daß der nämliche Sohn Gottes auch Sohn des Menschen wurde.
 
 
37. Derselbe Jesus Christus, Gottes eingeborener, d.h. einziger Sohn, unser Herr, ist nämlich aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria geboren. Der Heilige Geist ist aber eine Gabe Gottes, eine Gabe freilich, die dem Geber selber gleich ist; demgemäß ist auch der Heilige Geist Gott, und zwar nicht weniger als wie der Vater und der Sohn. Wenn nun die Geburt Christi seiner Menschheit nach das Werk des Heiligen Geistes ist, was offenbart sich dann darin anders als gerade die Gnade? Denn damals, als die Jungfrau [Maria] den Engel fragte, wie denn die Erfüllung seiner Botschaft möglich sein solle, da sie ja keinen Mann erkenne, da antwortete ihr dieser: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden.“ Und als Joseph sie entlassen wollte, weil er eine Ehebrecherin in ihr vermutete, da er ja wußte, daß sie nicht von ihm empfangen habe, erhielt er vom Engel die Antwort: „Fürchte dich nicht, Maria als dein Weib zu dir zu nehmen; denn was in ihr gezeugt worden ist, das ist vom Heiligen Geiste“, d.h. was, wie du argwöhnst, von einem anderen Manne stammen soll, das ist vom Heiligen Geiste.
 
Kapitel XII.
 
38. Werden wir indes darum behaupten, der Vater des Menschen Christus sei der Heilige Geist, so daß demnach Gott Vater das Wort [d.h. die göttliche Natur in Christus], der Heilige Geist aber den Menschen [d.h. die menschliche Natur in Christus] gezeugt hätte und der eine Christus mit seinen zwei Naturen seiner Gottheit nach der Sohn Gottes des Vaters und seiner Menschheit nach der Sohn des Heiligen Geistes wäre, weil ihn ja der Heilige Geist als sein Vater aus der jungfräulichen Mutter zeugte? Wer wagte es, sich zu einer solchen Behauptung zu versteigen? Es brauchte keine lange Erörterung um nachzuweisen, wieviel Abgeschmacktheiten sich daraus ergeben würden; ist ja doch eine solche Behauptung selber schon so abgeschmackt, daß kein gläubiges Ohr sie aushalten kann. Unser Herr Jesus Christus, der Gott von Gott ist, als Mensch aber aus dem Heiligen Geist und von der Jungfrau Maria geboren ist, ist also, wie wir gläubig bekennen, nach seinen beiden Naturen, der göttlichen sowohl wie der menschlichen, der eingeborene Sohn des allmächtigen Vatergottes, von dem der Heilige Geist ausgeht. Wie können wir also sagen, Christus sei vom Heiligen Geist geboren, wenn ihn der Heilige Geist nicht gezeugt hat? Sagen wir es nicht deshalb so, weil er ihn gemacht hat? Unser Herr Jesus Christus, von dem, soweit er Gott ist, geschrieben steht: „Alles ist durch ihn gemacht worden“, ist ja doch, soweit er Mensch ist, selber gemacht worden; so sagt ja das Wort des Apostels: „Er ist aus dem Samen Davids dem Fleische nach gemacht worden.“ Wenn nun jenes Geschöpf, das die Jungfrau [Maria] empfing und gebar, die gesamte Dreifaltigkeit gebildet hat, obwohl es doch bloß die Person des Sohnes betraf, warum wird denn dann bei der Bildung dieses Geschöpfes bloß der Heilige Geist genannt, da doch die Werke der Dreifaltigkeit untrennbar sind? Oder soll man, wenn bei irgendeinem Werke nur eine der drei Personen genannt wird, an ein Werk der gesamten Dreifaltigkeit denken? Gewiß, so ist es; und man könnte dies auch durch Beispiele erhärten. Doch wollen wir hiebei nicht zu lange verweilen. Denn es beschäftigt uns ja immer noch die Frage, wie man sagen könne „geboren aus dem Heiligen Geist“, da Christus doch gar kein Sohn des Heiligen Geistes ist. [Man darf ihn ebensowenig einen Sohn des Heiligen Geistes heißen,] als wir auch diese Welt nicht darum als Gottes Sohn oder als von Gott geboren bezeichnen dürfen, weil sie Gott gemacht hat; wir müssen sie vielmehr als von ihm gemacht, geschaffen, hervorgerufen, gebildet bezeichnen oder was wir sonst für einen deckenden Ausdruck dafür finden können. In unserm vorliegenden Fall liegt also bei unserem Bekenntnis, daß Christus aus dem Heiligen Geist und von der Jungfrau Maria geboren worden sei, die Schwierigkeit in der Frage, wie es denn komme, daß er trotzdem nicht der Sohn des Heiligen Geistes, wohl aber der Sohn der Jungfrau Maria ist, obwohl er doch sowohl aus dem einen [dem Heiligen Geist] als auch der anderen [der Jungfrau Maria] geboren worden ist. Ohne Zweifel liegt die Sache so, daß er aus dem einen, [dem Heiligen Geist] geboren worden ist zwar nicht als aus seinem Vater, wohl aber von der anderen [der Jungfrau Maria] als von seiner Mutter.
 
 
39. Demnach darf man nicht so weit gehen zu sagen „alles, was von irgend jemand geboren worden ist, dürfe darum auch schon immer dessen Sohn genannt werden. Davon will ich nun nicht reden, daß ein Sohn in ganz anderer Weise von einem Menschen herstammt, als vielleicht ein Haar oder eine Laus oder ein Eingeweidewurm, Dinge, die man doch alle nicht als Söhne betrachten kann. Dergleichen will ich also, wie gesagt, übergehen, weil es unschicklich wäre, es mit etwas so Erhabenem zu vergleichen. Aber es wird gewiß auch niemand solche, die aus dem Wasser und dem Heiligen Geiste wiedergeboren werden, nun mit Recht Söhne des Wassers nennen; vollkommen richtig heißen sie dagegen Söhne des göttlichen Vaters und der Mutter Kirche. Geradeso ist auch der vom Heiligen Geiste geborene Christus zwar der Sohn Gottes des Vaters, aber nicht des Heiligen Geistes. Denn selbst das, was wir über das Haar und die anderen Dinge gesagt haben, besitzt doch wenigstens soviel Wert, daß wir uns dadurch vor Augen halten, es dürfe nicht alles, was von irgend jemandem her seinen Ursprung nimmt, nun auch der Sohn dessen genannt werden, von dem er stammt. Aus diesem Satz geht [umgekehrt] auch hervor, daß man nicht sagen kann, einer der jemandes Sohn heisst, son nun wirklich auch von diesem geboren: so ist es z.B. bei Adoptivsöhnen. So redet man auch von Söhnen der Hölle: das sind aber keine solchen Menschen, die aus ihr geboren, sondern solche, die für sie bestimmt sind; geradeso heißt man auch Söhne des [Himmel]reiches solche, die für dieses Reich bestimmt sind.
 
40. Wenn also etwas von jemandem abstammen kann, ohne darum auch schon dessen Sohn zu sein, und wenn anderseits nicht jeder, der jemandens Sohn heißt, nun auch schon von dem geboren sein muß, dessen Sohn er genannt wird, so weist uns gewiß die Art und Weise, wie Christus vom Heiligen Geist geboren worden ist, ohne dessen Sohn zu sein, während er von Maria geboren und nun auch wirklich ihr Sohn ist, auf die Gnade Gottes hin, der zufolge der Mensch [in Christus] ohne jegliches vorhergehende Verdienst im ersten Augenblick, wo sein Wesen zu sein anfing, mit Gott, dem Worte, zu einer solchen persönlichen Einheit verbunden werden sollte, daß der, welcher ein Sohn eines Menschen [Maria] war, nun auch Sohn Gottes, und der, welcher ein Sohn Gottes war, auch Sohn eines Menschen sein sollte; und so sollte infolge der Annahme der Menschennatur jenem Menschen gewissermaßen die Gnade zur Natur werden, so daß er gar nicht imstande sein sollte, eine Sünde zu begehen. Diese Gnade aber mußte deswegen unter dem Namen des Heiligen Geistes erscheinen, weil er selbst in so charakteristischer Weise Gott ist, daß er auch Gabe Gottes heißt. – Nach all dem würde eine ausreichende Besprechung dieser Wahrheit, soweit sie überhaupt möglich wäre, zu einer sehr ausführlichen Erörterung führen müssen.
 
 
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