Des Hl. Aurelius Augustinus (354-430)  
Handbüchlein über Glaube Hoffnung und Liebe / Enchiridion 

Kapitel I. Kapitel II. Kapitel III. Kapitel IV. Kapitel V. Kapitel VI. Kapitel VII. Kapitel VIII. Kapitel IX. Kapitel X. Kapitel XI. Kapitel XII. Kapitel XIII. Kapitel XIV. Kapitel XV. Kapitel XVI. Kapitel XVII. Kapitel XVIII. Kapitel XIX. Kapitel XX. Kapitel XXI. Kapitel XXII. Kapitel XXIII. Kapitel XXIV. Kapitel XXV. Kapitel XXVI. Kapitel XXVII. Kapitel XXVIII. Kapitel XXIX. Kapitel XXX.  Kapitel XXXI. Kapitel XXXII. Kapitel XXXIII.

 Kapitel XV.

 56. Nach dem wir in einem der Kürze des Glaubensbekenntnisses entsprechenden Maße von Jesus Christus, dem eingeborenen Sohn Gottes, unserem Herrn, gesprochen haben, fügen wir hinzu, dass wir in gleicher Weise an den Heiligen Geist glauben damit so die Dreifaltigkeit zum Abschluß komme, die Gott ist. Sodann wird die Heilige Kirche erwähnt. Dadurch wird uns zu verstehen gegeben, daß die vernünftige, für das freie Jerusalem bestimmte Schöpfung erst nach der Erwähnung des Schöpfers, d.h. nach Erwähnung der allerhöchsten Dreifaltigkeit folgen dürfe. Denn alles, was [zuvor] von dem Menschen Christus gesagt ist, das betrifft ja auch die eine Person des Eingeborenen. Die rechte Ordnung [in der Reihenfolge] des Glaubensbekenntnisses forderte also, daß erst nach der Dreieinigkeit die Kirche genannt wird, geradeso wie man das Haus erst nach seinem Bewohner, den Tempel erst nach seinem Gott und die Stadt erst nach ihrem Erbauer nennt. Diese Stadt Gottes kommt aber hier in ihrer Gesamtheit in Betracht, nicht bloß in dem Teil, wo sie auf der Pilgerfahrt auf Erden von Sonnenaufgang bis zum Sonnenniedergang den Namen des Herrn lobpreist und nach Ablauf ihrer alten Gefangenschaft ihr neues Lied singt, sondern sie kommt auch in dem Teil in Betracht, der im Himmel allezeit mit Gott, seinem Schöpfer, verbunden blieb und niemals an sich erfahren mußte, daß ein Glied von ihm zu Falle kam. Dieser Teil lebt in den heiligen Engeln in ewiger Seligkeit und kommt, wie es auch nur recht ist, dem andern noch auf Erden pilgernden Teil zu Hilfe; diese beiden Teile [die streitende und die triumphierende Kirche] werden einstmals auch eins sein im gemeinsamen Genuß der Ewigkeit, ja sie sind bereits eins durch das Band der Liebe, eine Vereinigung, die keinen anderen Zweck hat als die Verehrung Gottes. Darum will weder die ganze Kirche noch einer ihrer Teile an Gottes Stelle verehrt werden; auch will sie nicht, daß jemand, der zum Tempel Gottes gehöre, selber Gott sei; denn dieser Tempel baut sich auf aus Göttern [Gläubigen], die der unerschaffene Gott erschafft. Und eben darum wäre auch der Heilige Geist, wenn er ein Geschöpf und nicht vielmehr selbst Schöpfer wäre, sicherlich ein vernünftiges Geschöpf; denn die vernünftige Schöpfung ist die Krone der Schöpfung. In diesem Falle wäre von ihm in der Glaubensregel nicht schon vor der Kirche die Rede, weil er ja dann selbst zur Kirche gehörte, und zwar zu dem Teil von ihr, der im Himmel wohnt. Auch hätte er dann keinen Tempel, sondern auch er wäre dann selbst ein Tempel. Er hat aber nun wirklich einen Tempel, von dem der Apostel sagt: „Wisset ihr nicht, daß euere Leiber Tempel des Heiligen Geistes sind, der in euch ist und den ihr von Gott habt ?“ Von diesen Leibern sagt er an einer anderen Stelle: „Wisset ihr nicht, daß euere Leiber Glieder Christi sind?“ Wie sollte also derjenige nicht Gott sein, der einen Tempel hat? Oder ist er vielleicht kleiner als Christus, dessen Glieder er zum Tempel hat? Es besteht auch wirklich kein Unterschied zwischen seinem Tempel und dem Tempel Gottes; sagt ja doch der nämliche Apostel Paulus: „Wisset ihr nicht, daß ihr ein Tempel Gottes seid?“ Um dies zu beweisen fährt er fort: „ ... und daß der Geist Gottes in euch wohnt?“ Gott also wohnt in seinem Tempel, d.h. nicht bloß der Heilige Geist, sondern auch der Vater und der Sohn. Auch dieser letztere sagt von seinem Leib, durch den er das Haupt der aus Menschen bestehenden Kirche ist – „damit er in allem den Vorrang habe“ -: „Brechet diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn wieder aufbauen!“ Der Tempel Gottes also, nämlich der Tempel der ganzen allerhöchsten Dreifaltigkeit, ist die heilige Kirche, d.h. die Kirche in ihrer Gesamtheit im Himmel und auf Erden.
 
 
57.Was können wir aber von jener Kirche im Himmel weiteres sagen, als daß es in ihr keine Bösen gibt und daß in ihr von dem Zeitpunkt an, wo nach dem schriftlichen Zeugnis des Apostels Petrus Gott „nicht einmal die Engel schonte, als sie sündigten, sondern sie in den Kerker der höllischen Finsternis schleuderte und sie dahingab, daß sie bewahrt würden zur Strafe im Gerichte“, kein Glied mehr der Zugehörigkeit zu dieser Kirche verlustig gegangen ist, noch auch verlustig gehen wird.
 
58. Welches ist aber nun der Zustand dieser erhabenen, hochseligen Schar? Wie unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Vorranges? Wie kann dort von Erzengeln die Rede sein, wo doch all diese Himmelsbewohner mit dem Gesamtnamen „Engel“ bezeichnet werden? So lesen wir z.B. im Hebräerbrief: „Denn zu welchem der Engel hat Gott jemals gesprochen: Setze dich zu meiner Rechten?“ Damit hat der Apostel doch wohl zu erkennen gegeben, daß alle den Gesamtnamen „Engel“ tragen. Werden ferner jene Erzengel zugleich auch Heerscharen genannt und heißt es in dem Sinne: „Lobet ihn, all seine Engel! Lobet ihn, all seine Heerscharen!“, als ob gesagt sei: „Lobet ihn, all seine Engel! Lobet ihn, all seine Erzengel“? Was für ein Unterschied liegt endlich in jenen vier Bezeichnungen, womit der Apostel die ganze himmlische Heerschar zusammenzufassen scheint mit den Worten: „Seien es nun Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten“? All diese Fragen mögen diejenigen beantworten, die es können, vorausgesetzt, daß sie auch imstande sind, für ihre Behauptungen einen Beweis zu bringen. Ich für meine Person muß schon gestehen, daß ich darüber nichts weiß. Ja nicht einmal das weiß ich ganz bestimmt, ob zu diesen Scharen nicht auch Sonne und Mond und all die anderen Gestirne gehören, obgleich sie manche nur für leuchtende Körper ohne Sinne und Verstand halten.
 
59. Wer möchte ferner erklären wollen, welcher Art die Körper waren, in denen die Engel den Menschen erschienen sind, so daß man sie nicht bloß schauen, sondern sogar berühren konnte; oder wie es kommt, daß die Engel anderseits wieder nicht in körperlicher Gestalt, sondern durch geistige Beeinflussung nicht dem körperlichen, sondern dem geistigen Auge, dem inneren Sinn, gewisse Erscheinungen zeigen und wie sie denn dann nicht zu dem äußeren Ohr, sondern inwendig in der Menschenseele sprechen. Denn auch da [in der Menschenseele] wohnen sie; steht ja doch in dem Buche der Propheten geschrieben: „Und es sprach zu mir der Engel, der in mir redete.“ Der Prophet sagt nicht: „Der zu mir redete“, sondern: „Der in mir redete“; oder es soll einer erklären, wie die Engel auch im Schlafe erscheinen und da wie im Traum zu uns sprechen. Es gibt hiefür eine Stelle im Evangelium: „Siehe, ein Engel des Herrn erschien ihm [dem Joseph] im Schlafe und sprach.“ – Auf solche Weise geben die Engel gewissermaßen zu verstehen, daß sie keinen greifbaren Körper haben und es gestaltet sich darum die Frage sehr schwierig, wie ihnen denn dann die Patriarchen die Füße waschen und wie Jakob in jener bekannten kräftigen Berührung mit dem Engel ringen konnte“. An solcherlei Fragen, wo ein jeder nach Kräften seinen Scharfsinn spielen läßt, bildet sich der Geist nicht ohne Nutzen; nur darf der Streit die Grenzen der Mäßigung nicht überschreiten und muß der falsche Glaube ferngehalten werden, man wisse etwas, wovon man in Wirklichkeit nichts weiß. Denn was hat es schließlich für einen Wert, dieses oder jenes zu behaupten oder zu verneinen oder mit einem Aufwand von Scharfsinn auseinanderzusetzen, wenn es keinen Schaden bedeutet, davon nichts zu wissen.
 
 
Kapitel XVI.
 
60. Wichtiger ist es dagegen, das ganz klar und deutlich zu erkennen, wann sich der Satan in einen Engel des Lichtes verwandelt; denn sonst könnte er uns täuschen und zu etwas Verderblichem verführen. Darin liegt nämlich keine Gefahr für das religiöse Leben, wenn er zwar die leiblichen Sinne täuscht, die Seele aber nicht von den wahren und richtigen Grundsätzen, auf denen sich für jedermann das christliche Leben aufbaut, abwendig macht; oder wenn er sich als ein guter Geist verstellt und nur solche Taten und Worte zeigt, wie sie guten Engeln zukommen und wenn er daraufhin sogar für gut gehalten wird, so ist das ein Irrtum, der für den christlichen Glauben nicht gefährlich und nicht schädlich ist. Sobald er aber durch ein solches, seinem wirklichen Wesen fremdes Benehmen zu dem hinführen will, was ihm so recht eigentümlich ist, dann wird es notwendig, mit großer Sorgfalt auf seiner Hut zu sein, damit man ihn durchschaue und seinen Weg nicht gehe. Doch wo ist denn so ein Mensch, der imstande wäre, all seinen todbringenden Ränken zu entgehen, wenn nicht Gott sein Leiter und Beschützer ist? Aber gerade diese Schwierigkeit hat wieder das Gute, daß der Mensch lernt, sich nicht auf sich selbst oder auf andere Leute, sondern in all seinen Angelegenheiten nur auf Gott zu verlassen. Und daß uns dieses Gottvertrauen mehr nützt [als falsches Vertrauen auf sich und auf die Mitmenschen], das wird gewiß kein frommer Christ bezweifeln.
 
61. Soweit demnach die Kirche die heiligen Engel •.und Herrschaften Gottes in sich begreift, wird sie uns erst dann in ihrem Wesen klar werden, wenn wir am Ende [unseres Lebens] mit ihnen vereinigt sein werden, um in ihrer Gemeinschaft die ewige Seligkeit zu genießen. Der andere Teil der Kirche aber, der noch auf Erden pilgert, ist uns deshalb besser bekannt, weil wir ja selber noch auf Erden leben und weil er eine Kirche von Menschen ist, wie auch wir es sind. Diese Kirche ist durch das Blut des sündelosen Mittlers von jeglicher Sünde erlöst worden und ihre Stimme ist es, die da sagt: „Wenn Gott für uns ist, wer ist dann wider uns? Hat er ja seinen eigenen Sohn nicht geschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben.“ Denn nicht für die Engel äst Christus gestorben. Insoferne jedoch erstreckt sich auch auf die Engel alles, was durch Christi Tod zur Erlösung und Reinigung der Menschen vom Bösen geschieht, als die Menschen bei den Engeln gewissermaßen auch wieder zu Gnaden kommen; denn [durch die Erlösung] schwindet die Feindschaft, welche die Sünde zwischen den Menschen und den heiligen Engeln geschaffen hatte. Zudem werden ja gerade aus der erlösten Menschheit auch jene Schäden wieder geheilt, die der Sturz der Engel zur Folge gehabt hatte.
 
62. Denn sicherlich wissen auch die heiligen Engel, wie zahlreich der Ersatz sein muß, den ihr Reich bis zu seiner vollen Ergänzung aus dem Menschengeschlecht zu erwarten hat; darüber wird sie Gott wohl belehrt haben, dessen Wahrhaftigkeit ewig anzuschauen ihre Seligkeit ausmacht. In diesem Sinn sagt der Apostel, „alles, was im Himmel und auf Erden ist, werde in Christo erneuert“. Das, was im Himmel ist, wird nämlich dann erneuert, wenn die Lücke, die durch den Fall der Engel entstanden ist, aus der Zahl der Menschen wieder ausgefüllt wird; was aber auf Erden ist, das wird erneuert, wenn die Menschen, die zum ewigen Leben vorherbestimmt sind, aus ihrer alten Verderbnis wieder hergestellt werden. Auf solche Weise wird durch jenes einzigartige Opfer, in dem der Mittler [Christus] sich opfert, und auf welches allein die Opfer des Gesetzes vorbildlich hinwiesen, das Himmlische und das Irdische gegenseitig in Frieden geeinigt. Denn also spricht der gleiche Apostel [Paulus]: „Gefallen hat es [dem Vater], in ihm [dem Sohne] die ganze Fülle [der Gottheit] wohnen zu lassen und durch ihn die gesamte Kreatur des Himmels und der Erde mit sich zu versöhnen, indem er durch seines Sohnes blutigen Kreuzestod den Frieden wiederherstellte.”
 
63. Dieser Friede übersteigt, wie geschrieben steht, jeden Begriff und kann von uns erst dann wirklich erkannt werden, wenn wir zu ihm gelangt sind. Denn wie kann Friede im Himmel werden, wenn er nicht mit uns geschlossen wird, d.h. wenn der Himmel nicht mit uns eines Herzens wird? Dort herrscht nämlich ewiger Friede, sowohl aller geistigen Geschöpfe unter sich als auch mit ihrem Schöpfer. Es übersteigt also dieser Friede, wie gesagt, jeden Begriff, natürlich nur den unsrigen, nicht aber den Begriff derer, die immerdar das Antlitz des Vaters schauen. Im Gegensatz zu diesen ist unsere Einsicht bei aller Größe menschlicher Erkenntnis doch nur eine teilweise und unser Schauen nur ein unvollkommenes, wie durch einen Spiegel. Wenn wir aber dereinst einmal den Engeln gleich sein werden, dann wird auch unser Schauen ein Schauen von Angesicht zu Angesicht sein, wie bei ihnen, und der Friede, den wir mit ihnen haben werden, wird ebenso groß sein wie der, den sie mit uns haben; denn dann wird unsere Liebe zu ihnen ebenso groß sein wie die ihrige zu uns. Darum wird uns dann ihr Friede kund sein, weil auch unser Friede ebenso groß und so tief sein wird und weil dann ihr Friede unsern Begriff nicht mehr übersteigen wird. Gottes Friede jedoch, der dort über uns herrschen wird, wird zweifellos sowohl unseren als auch ihren Begriff übersteigen. Aus ihm schöpft ja jede vernünftige Kreatur ihre Seligkeit, mag sie auch noch so selig sein; er dagegen schöpft seine Seligkeit nicht aus der Kreatur. Die Stelle: „Der Friede Gottes, der jeglichen Begriff übersteigt ...“, ist somit wohl am richtigsten so zu verstehen, daß in den Ausdruck „jeglich“ sogar auch der Begriff der heiligen Engel und nur einzig nicht der Begriff Gottes eingeschlossen ist. Denn seinen eigenen Begriff kann Gottes Friede ja doch nicht übersteigen.