Des Hl. Johannes Chrysostomus († 407)
Sechs Briefe über das Priestertum / De sacerdotio libri I-VI
 

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Kapitel I. Kapitel II. Kapitel III.Kapitel IV. Kapitel V. Kapitel VI. Kapitel VII. Kapitel VIII.

 

 5. Buch 

Kapitel I. 

Wie reicher Erfahrung der Lehrer für die Kämpfe im Interesse der Wahrheit bedarf, das habe ich hinreichend dargelegt. Ich habe aber im Anschluss daran noch von einer anderen Sache zu sprechen, die ebenfalls an zahllosen Gefahren schuld ist. Oder vielmehr, nicht ihr selbst darf ich die Schuld beimessen, sondern denen, welche damit nicht recht umzugehen wissen. Denn die Sache selber bringt reichlichen Segen und viel. Gutes mit sich, wenn sich ihrer eifrige und tüchtige Männer bedienen. Doch, um was handelt es sich denn? Um die grosse Arbeit, die aufzuwenden ist für die Predigten, die öffentlich vor dem Volke gehalten werden. Fürs erste wollen die meisten Untergebenen die Prediger nicht als Lehrer ansehen, sondern setzen sich über das Verhältnis von Schülern hinweg und benehmen sich wie die Zuschauer bei den weltlichen Wettkämpfen. Gleich wie dort die Menge sich spaltet und die einen diesem, die anderen jenem beitreten, der nämliche Vorgang ist auch hier zu beobachten. Die einen halten es mit diesem, die anderen mit jenem und hören die Predigten teils aus Zuneigung, teils aus Abneigung an. Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit; es kommt noch eine andere, nicht geringere hinzu. Wenn es nämlich einmal zutrifft, dass einer der Redner ein Stück aus einer fremden Bearbeitung seinen Worten einflicht, so setzt er sich grösseren Schmähungen aus als die Gelddiebe. Oftmals aber hatte er von niemanden etwas entlehnt, sondern er stand nur in solchem Verdacht und hatte trotzdem dasselbe zu leiden wie die wirklich Ertappten. Doch, was rede ich von fremden Bearbeitungen? Nicht einmal seine eigenen Erzeugnisse kann er immer mit Nutzen vorbringen. Denn die meisten pflegen nicht, um daraus Segen zu schöpfen, sondern um der Kurzweil willen ihn anzuhören, als ob sie über Tragödiendichter oder Zitherspieler zu Gericht zu sitzen hätten. So ist hier die Art der Beredsamkeit, die ich im Vorausgehenden verworfen habe, in solchem Masse erwünscht, wie dies nicht einmal bei den Sophisten der Fall ist, wenn sie untereinander streiten. 
 
Kapitel II. 

Es gehört demnach eine ausserordentliche Beherztheit dazu, wie sie über meine Unbedeutendheit weit hinausgeht, um die unordentliche und schädliche Lust der Menge zu zügeln und sie dazu zu bringen, mehr zu ihrem eigenen Nutzen [die Predigt] anzuhören, so dass infolgedessen das Volk dem Prediger nachgebe und sich nach ihm richte, nicht aber er sich durch die Wünsche der grossen Menge beeinflussen lasse. Das kann er jedoch nur durch folgende zwei Eigenschaften erreichen: durch Verachtung aller Lobsprüche und durch die Macht seiner eigenen Beredsamkeit. Wenn das eine dieser beiden Erfordernisse fehlt, wird das übrig bleibende infolge des Mangels des anderen völlig nutzlos. Mag einer auch Geringschätzung gegenüber Lobeserhebungen zeigen, bietet er aber nicht einen Vortrag, der mit Anmut und Salz gewürzt ist, so wird er selbst leicht von der Menge gering geachtet, ohne von seiner hochherzigen Gesinnung Gewinn zu haben. Versteht er es anderseits, in letzterer Beziehung alles recht zu machen, ist er jedoch für die Bezeigung des Beifalls empfänglich, so bedroht hinwiederum sowohl ihn wie die Menge der nämliche Nachteil, v/eil er in seinem Haschen nach Lobsprüchen bestrebt ist, seinen Zuhörern mehr zu gefallen als zu ihrem Nutzen zu reden. Und gleichwie derjenige, der auf lauten Beifall kein Gewicht legt, aber auch nicht zu reden versteht, dadurch, dass er den Wünschen der Menge nicht nachgibt, keinen nennenswerten Erfolg zu erzielen vermag, eben weil ihm die Gabe der Rede mangelt, so bringt der, welcher von der Sehnsucht nach Lobhudelei sich fortreissen lässt, wenn er auch das Mittel besitzt, die Menge zu bessern, anstatt dessen [in der Predigt] vielmehr Dinge vor, die dem Zeitvertreib dienen sollen, um dadurch rauschenden Beifall sich zu erkaufen. 
 
Kapitel III. 

Ein trefflicher Vorsteher muss also nach beiden Richtungen hin sich tüchtig erweisen, damit nicht die eine Eigenschaft durch das Fehlen der anderen wirkungslos werde. Wenn er nämlich öffentlich auftritt, um etwas vorzubringen, was an sich die leichtfertig Dahinlebenden zu erschüttern vermag, dabei aber in seiner Rede stockt und anstösst und über diese Schwäche erröten muss, so ist augenblicklich auch der Erfolg dahin aus dem, was er gerade vorgetragen hat. Denn die Getadelten, die sich über seine Worte ärgern und sich ihm gegenüber nicht anders zu wehren wissen, spotten nun über ihn wegen seiner Ungeschicklichkeit und glauben, dadurch ihre eigene Schande zu verdecken. Darum muss er wie ein gewandter Wagenlenker in beiden Leistungen es bis zur Vollkommenheit bringen, damit er je nach Bedürfnis nach beiden Seiten hin sich zu betätigen vermag. Denn erst wenn er selbst niemanden Anlass zum Tadel gibt* wird er auch, sowie es ihm beliebt, sich das Recht dazu nehmen können, allen seinen Untergebenen Strafe aufzuerlegen oder zu erlassen. Vorher ist das nicht leicht durchzuführen. Sein verständiger Sinn darf sich deshalb nicht mit der Verachtung der Lobeserhebungen begnügen, sondern er muss sich selbst — in der Beredsamkeit — noch weiter vervollkommnen, damit nicht immer wieder sein Erfolg ein unvollkommener sei. 

Kapitel IV. 

Was soll er denn sonst noch verachten? Das Bekritteln und Verkleinern [seitens der Menge], Bei unberechtigten Vorwürfen hingegen — es kann ja nicht ausbleiben, dass der Vorsteher grundlosem Tadel ausgesetzt ist — ist es zweckmässig, sich weder masslos zu fürchten und zu ängstigen, noch sie einfach unbeachtet zu lassen. Er soll sie vielmehr, selbst wenn sie unwahr sind und von ganz gewöhnlichen Menschen erhoben werden, rasch zu unterdrücken suchen. Denn nichts vergrössert sowohl seinen schlimmen wie guten Ruf so sehr wie die zügellose Menge. Ist doch diese gewohnt, ohne Prüfung anzuhören und das Gehörte weiterzuerzählen; überhaupt schwätzt sie alles aus, was ihr gerade unterkommt, ohne sich um die Wahrheit im geringsten zu kümmern. Deshalb darf er aber die grosse Menge nicht verachten, sondern soll durch Überzeugung der Ankläger, wenn sie auch die allerunvernünftigsten wären, den schlimmen Verdacht gleich bei seinem Entstehen ausrotten und überhaupt nichts unterlassen, was die ungünstige Meinung zu zerstören vermag. Wenn aber trotz aller unserer Bemühungen die Tadler sich nicht überzeugen lassen wollen, dann allerdings ist es Zeit, sie zu verachten. Würde jemand durch solche Vorkommnisse gleich sich niederdrücken lassen, dann wäre er auch nicht mehr imstande, etwas Tüchtiges und Hervorragendes zu leisten. Denn Niedergeschlagenheit und fortwährende Sorgen vermögen die Kraft der Seele zu brechen und diese in den Zustand äusserster Schwachheit zu versetzen. Der Priester muss also gegen seine Untergebenen so gesinnt sein, wie ein Vater gegen ganz unmündige Kinder. Gleichwie wir uns nicht darum kümmern, ob letztere mutwillig sind, um sich schlagen und jammern, aber auch uns nichts darauf einbilden, wenn sie uns anlächeln und sonst ihrer Freude Ausdruck geben, so dürfen wir uns auch nicht ob der Lobsprüche der grossen Menge aufblähen noch uns durch ihren unberechtigten Tadel niederdrücken lassen. Das ist allerdings schwer, geliebter Freund, ja ich möchte meinen, wohl gar unmöglich. Denn sich nicht freuen, wenn man gelobt wird, ich weiss nicht, ob einem Menschen das jemals gelungen ist. Freut man sich aber darüber, so ist es selbstverständlich, dass man auch darnach strebt, des Lobes teilhaftig zu werden. Und strebt man darnach, so ist es auf jeden Fall ganz natürlich, dass man beim Ausbleiben der Lobeserhebungen missmutig und betrübt wird. Wie diejenigen, welche ihr ganzes Glück am Reichsein finden, sich gedrückt fühlen, wenn sie in Armut geraten, und wie die, welche ein üppiges Leben gewohnt sind, eine einfache Lebensweise nicht wohl ertragen können, so ergeht es auch denen, die auf Lobsprüche erpicht sind. Sie gehen seelisch zugrunde, gleich als ob sie geistigen Hunger litten, und zwar nicht nur, wenn sie ohne Grund getadelt, sondern auch, wenn sie nicht beständig gelobt werden, insbesondere dann, wenn sie gar in Lobsprüchen aufgezogen worden oder wenn sie hören, wie man andere lobt. Nun denn, wie viele Beschwerden und wie grossen Kummer meinst du, wird wohl der auf sich nehmen müssen, der mit dieser Begierde als Lehrer sich auf den Kampfplatz wagt? So wenig das Meer jemals ohne Wellen zu sehen ist, so wenig wird seine Seele ohne Sorgen und Betrübnis sein. 

Kapitel V. 

Wenn er auch eine grosse Redegewalt besitzt — die man freilich nur bei wenigen antreffen dürfte —, so ist er doch nicht fortwährender, mühevoller Arbeit enthoben. Denn da die Beredsamkeit nicht Naturanlage, sondern Sache fleissigen Erlernens ist, lässt sie selbst den, der hierin den Höhepunkt erreicht hat, im Stich, wenn er nicht durch anhaltenden Fleiss und beharrliche Übung seine Begabung weiter bildet. Deshalb müssen die begabteren Redner viel mehr Arbeit aufwenden als die minderbegabten. Es ist nämlich der Nachteil, wenn beide Kategorien nachlässig sind, nicht der gleiche, sondern er ist bei ersteren um soviel grösser, als beide an Fähigkeiten sich voneinander unterscheiden. Den letzteren dürfte niemand Vorwürfe machen, wenn sie nichts Nennenswertes bieten. Wenn hingegen erstere [die Begabteren] nicht noch Bedeutenderes leisten, als jedermann von ihnen erwartet, so haben sie von allen Seiten vielfache Vorwürfe zu gewärtigen. Dazu kommt, dass die weniger begabten Redner auch bei unbedeutenden Leistungen mit grossem Lob bedacht werden, während die Predigten der Begabteren, wenn sie nicht ganz besondere Bewunderung und Verblüffung erregen, nicht nur jeglichen Lobes entbehren müssen, sondern auch viele Tadler finden. Denn nicht um über den Inhalt der Rede, sondern um über das Ansehen der Prediger zu richten, sitzen die Zuhörer da. Wer darum über alle anderen in der Beredsamkeit hervorragt, der muss auch am meisten unter allen angestrengten Fleiss aufwenden. Nicht einmal den Umstand, der doch gemeinhin der menschlichen Natur eigentümlich ist, dass ihr nicht alles gelingen kann, darf er sich zunutzen machen. Steht vielmehr seine Rede nicht vollständig im Einklang mit der Grösse seines Rufes, so ist sein Abtreten von vielfachem Spott und Tadel seitens der Menge begleitet. Und niemand erwägt bei sich, dass Verzagtheit und Angst, die ihn etwa befallen, desgleichen Sorgen, häufig auch eine starke Erregung die Klarheit des Denkens zu trüben vermögen und die Gedanken nicht zur vollen Entwicklung gelangen lassen, dass überhaupt ein Mensch unmöglich allerwegs derselbe zu sein und in allem das Richtige zu treffen vermag, dass es vielmehr ganz natürlich ist, wenn er sich einmal verhaut und Geringeres leistet, als seine eigentliche Begabung erwarten liess. Auf nichts dergleichen will man, wie ich bereits erwähnte, Bedacht nehmen, sondern als ob man über einen Engel zu Gericht sässe, bringt man die Beschuldigungen herbei. Übrigens ist auch der Mensch von Natur aus geneigt, die löblichen Taten seines Nächsten, mögen sie auch zahlreich und hervorragend sein, zu übersehen; zeigt sich aber irgendein kleiner Mangel, mag er auch als noch so geringfügig sich herausstellen und nur ganz selten vorkommen, so bemerkt man ihn sofort, fällt ohne weiteres darüber her und vergisst ihn nimmer. Und so hat schon häufig die unbedeutendste und geringfügigste Sache das Ansehen vieler und hervorragender Männer geschmälert. 
 
Kapitel VI. 

Siehst du, bester Freund, dass gerade der tüchtigste Redner grösseren Fleiss aufwenden muss! Ausser dem Fleisse muss er auch eine solche Langmut besitzen, wie sie alle die nicht brauchen, die ich dir vorhin aufgezählt habe. Denn viele Leute treten fortwährend ungerechterweise und unüberlegt gegen ihn auf; und obwohl sie ihm nichts anderes vorzuwerfen haben, als dass er bei jedermann in hohem Ansehen stehe, verfolgen sie ihn mit ihrem Hasse. Mit edlem Gleichmut muss er deren bittere Missgunst ertragen. Da sie ihren verdammenswerten Hass, den sie ohne Grund in sich ansammeln, nicht zu verbergen vermögen, so schimpfen, tadeln und verleumden sie heimtückischerweise und begehen auch öffentlich Gemeinheiten. Eine Seele aber, die gleich in jedem einzelnen solcher Fälle sich grämen und aufgebracht werden wollte, würde bald vor Kummer zugrunde gehen. Ja, sie rächen sich an ihm nicht nur in eigener Person, sondern suchen dies auch durch andere zu tun. Nicht selten greifen sie nämlich irgendeinen unfähigen Redner heraus, überhäufen ihn mit Lob Sprüchen und bewundern ihn über die Massen. Die einen handeln so aus Unwissenheit, andere aus Unwissenheit mit Neid gepaart, demnach nicht etwa um den unfähigen Redner als bewundernswert hinzustellen, sondern um den Ruhm des fähigen zunichte zu machen. Ein tüchtiger Redner hat jedoch nicht nur wider solch einzelne Gegner Kämpfe zu bestehen, sondern auch oft wider den Unverstand eines ganzen Volkes. Ist es doch unmöglich, dass die gottesdienstliche Versammlung aus lauter gebildeten Leuten besteht; vielmehr verhält es sich so, dass der grösste Teil der Gemeindeglieder sich aus Ungebildeten zusammensetzt, dass zwar manche urteilsfähiger sind als die grosse Menge, aber doch ihrerseits wieder hinter denen, die eine Predigt wirklich zu beurteilen vermögen, weit mehr zurückstehen, als hinter ihnen die übrigen alle. Da demnach zur Not bloss einer oder der andere dasitzt, dem die fragliche Urteilsfähigkeit zu Eigen ist, so kann es nicht ausbleiben, dass der beste Redner oft den wenigsten Beifall davonträgt, ja bisweilen gar ohne jegliches Lob davongehen muss. Gegen solch unordentliches Benehmen muss er seinerseits mit Hochherzigkeit ausgestattet sein und denen, die aus Unverstand so vorgehen, verzeihen, diejenigen aber, welche aus Neid so etwas in Szene setzen, als unglückselige und bedauernswerte Leute bemitleiden. Auch darf er nicht annehmen, dass sein Rednertalent durch das eine oder andere Verhalten beeinträchtigt worden sei. So darf auch ein Meister in der Malerei, welcher über alle anderen in seiner Kunst hervorragt, wenn er sieht, dass Leute, die von Kunst nichts verstehen, sich über ein von ihm mit grösster Sorgfalt gemaltes Bild lustig machen, nicht kleinmütig werden und um des Urteils der Unwissenden willen sein Gemälde für schlecht halten. Umgekehrt darf ihm freilich ebenso wenig ein Bild, das wirklich unbedeutend ist, als ausgezeichnet und seiner besonderen Liebe wert erscheinen, weil es bei Nichtfachleuten ausserordentliche Bewunderung erregte. 

 

Kapitel VII. 

Ein begabter Künstler soll auch selbst an seinen eigenen Kunstwerken Kritik üben. Er halte sie für gut oder schlecht, je nachdem der Verstand, der sie geschaffen, sein Urteil abgibt. Hingegen soll er der irregeführten und kunstwidrigen Meinung von Nichtsachverständigen keineswegs irgendwelche Beachtung schenken. Demgemäss soll auch der, welcher als Lehrer in die Öffentlichkeit tritt, sich um die Lobsprüche anderer nicht kümmern, noch weniger sich durch solche Leute mutlos machen lassen; vielmehr verfertige er seine Predigten so, dass er Gott gefalle. Denn Gott allein muss ihm Richtschnur und Ziel bei der möglichst besten Ausarbeitung seiner Predigten sein, nicht Beifallklatschen und Lobsprüche, Wenn ihm zwar auch von den Menschen Beifall gezollt wird, so weise er das Lob nicht zurück; wird ihm aber solches seitens der Zuhörer nicht gespendet, so suche er es nicht und gräme sich darüber nicht. Denn einen hinreichenden, ja überreichlichen Trost für seine Mühen gewährt ihm dann das eigene Bewusstsein, bloss um Gott zu gefallen, seine Predigten ausgearbeitet und gestaltet zu haben. 
 
Kapitel VIII. 

Wenn er sich nämlich von der Sucht nach unvernünftigen Lobhudeleien gefangen nehmen lässt, so hat er von seinen vielen Anstrengungen und seiner Redegewalt gar keinen Nutzen. Wer den unverständigen Tadel der Menge nicht zu ertragen vermag, der erschlafft und lässt im Fleisse, den er auf seine Predigten verwandte, nach. Darum muss [ein tüchtiger Prediger] vor allem anderen die Kunst gelernt haben, das Lob zu verachten. Denn die Redefertigkeit an sich genügt nicht, um seine Tüchtigkeit hierin zu bewahren, wenn nicht auch das andere [die Verachtung des Lobes] hinzukommt. Bei genauer Prüfung wird man des Weiteren erkennen, dass auch dem, welcher der Gewandtheit im Reden entbehrt, nicht minder die Verachtung des Lobes vonnöten ist als dem Redebegabten. Kann es doch nicht ausbleiben, dass er viele Fehler begeht, wenn er für die Meinung der grossen Menge sich eingenommen zeigt. Denn da er nicht in der Lage ist, den durch Redetüchtigkeit sich auszeichnenden Predigern gleichzukommen, so wird er dann keine Bedenken tragen, ihnen hinterlistig durch Neid und grundlosen Tadel nachzustellen und noch andere derartige Unanständigkeiten gegen sie zu begehen. Ja, er wird alles daran setzen und sollte es auch sein Leben kosten, um deren Ruhm auf die eigene erbärmliche Unbedeutendheit herabzudrücken. Ausserdem wird er [bei seinen Predigten] jeder anstrengenden Arbeit sich entziehen, nachdem eine Art von Lähmung sich über seine Seele ausgebreitet hat. Denn für denjenigen, der nicht imstande ist, Lobsprüche zu verachten, genügt schon der Umstand, dass er trotz vieler Mühen nur wenig Beifall erntet, um ihn mutlos zu machen und in tiefen Schlaf zu versetzen. So steht auch der Landmann, wenn er sich auf magerem Boden abmühen muss und genötigt ist, steiniges Land zu bebauen, alsbald von der Arbeit ab, falls ihn nicht grosse Lust zu der Sache erfasst hat oder die drohende Besorgnis vor Hunger ihn dazu treibt. Denn wenn schon die, welche mit gewaltiger Macht zu predigen verstehen, ausserordentliche Übung benötigen, um ihre Redefähigkeit zu bewahren, welch grosse Widerwärtigkeiten, welch tiefe innere Unruhe, welch starke Verwirrung wird dann der andere auszustehen haben, um mit ungeheurer Mühe nur ein klein wenig Stoff zusammenzubringen, falls er im voraus überhaupt nichts sich zurecht gelegt hat, sondern es erst für nötig erachtet, nachzusinnen, wenn er bereits auf dem Kampfplätze steht? Wenn aber einer von denen, die ihm untergeordnet sind und einen geringeren Rang einnehmen, in dieser Beziehung mehr zu glänzen vermag als er, da ist geradezu eine göttliche Seele vonnöten, um nicht von Neid ganz fortgerissen zu werden und um nicht in völlige Mutlosigkeit zu verfallen. Denn dass einer, der eine höhere Würde bekleidet, von niedriger Stehenden übertroffen werde und dass er das hochherzig ertrage, dazu gehört nicht eine gewöhnliche Seele, auch nicht eine solche, wie sie mir eigen ist, sondern geradezu eine diamantene. Allerdings, wenn der andere, der ihn an Ruhm allzu sehr überstrahlt, sich verständig und bescheiden zeigt, dann ist das Missgeschick immerhin einigermassen erträglich. Wenn dieser jedoch hochmütig, prahlerisch und ehrgeizig auftritt, so mag jenem der Tod täglich erwünscht sein. So sehr wird nämlich der andere ihm das Leben verbittern, indem er ihn offen beschimpft, im geheimen verhöhnt, einen grossen Teil seiner Amtsgewalt an sich reisst und selbst alles sein will. Zu all dem kann er die vollkommenste Sicherheit zur Schau tragen, besitzt er doch Ungeniertheit im Reden, die Anhänglichkeit der grossen Menge und die allgemeine Liebe der Untergebenen. Oder weisst du nicht, wie sehr heutzutage sich eine Redeliebhaberei der Herzen der Christen bemächtigt hat und dass die, welche der Redekunst sich befleissigen, am allermeisten in Ehren stehen? Es gilt dies nicht nur von den Heiden, sondern auch von unseren eigenen Glaubensgenossen. Wie sollte nun einer eine solche Schande ertragen können, wenn alle, solange er selbst redet, sich in Schweigen hüllen, sich belästigt fühlen und auf das Ende der Rede wie auf eine Erholung nach anstrengender Arbeit warten, wenn sie hingegen dem anderen, mag er auch lange reden, eifrigst zuhören, sogar unwillig werden, sobald er dem Schlüsse zueilt, und in Zorn geraten, wenn er überhaupt sich still verhalten will! Wohl magst du jetzt in deiner Unerfahrenheit solche Vorkommnisse als Kleinigkeiten ansehen, die man leicht verachten könne; sie genügen jedoch, um den Eifer zu ersticken und die Kraft der Seele zu lähmen, wenn man sich nicht von allen menschlichen Leidenschaften losgerissen hat und sich nicht einer Seelenstimmung befleissigt, wie sie den körperlosen Mächten eigen ist, die weder von Neid, noch von Ruhmessucht, noch von einer anderen derartigen Leidenschaft befallen werden. Wenn es nun einen solchen Menschen gibt, der es über sich bringt, dieses wilde Untier, das so schwer zu erjagen und kaum zu bezwingen ist, nämlich die Meinung der grossen Menge, mit Füssen zu treten und seine vielen Köpfe abzuhauen, oder vielmehr sie von vornherein gar nicht heranwachsen zu lassen, der wird auch mit Leichtigkeit diese zahlreichen Angriffe abwehren und sich des sicheren Hafens erfreuen können. Hat er sich aber davon nicht unabhängig gemacht, so lässt er einen vielgestaltigen Kampf, beständige Unruhe, Verdrossenheit und das Heer der übrigen Unannehmlichkeiten in seine Seele einziehen. Wozu soll ich die anderen Verdriesslichkeiten aufzählen, die niemand weder zu beschreiben noch zu verstehen vermag, der nicht selbst mit der Verwaltung eines solchen Amtes zu tun gehabt hat?


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